Wie Kriegsflüchtling Selimbegovic Profitrainer beim Jahn wurde

Die Familie von Mersad Selimbegovic hatte sich auf den Tag der Flucht vorbereitet. Rucksäcke waren für den Notfall gepackt. Doch als die Schüsse fielen, ließ sie alles liegen. «Panik ist ausgebrochen», erzählte Selimbegovic einmal. Der Tag der Flucht liegt 29 Jahre zurück, der heutige Trainer des Fußball-Zweitligisten SSV Jahn Regensburg war damals noch ein Kind.

Als der Bosnienkrieg, der blutigste der Konflikte nach dem Zerfall des Vielvölkerstaates Jugoslawien, losbrach, musste Familie Selimbegovic aus ihrem Heimatort nahe der Kleinstadt Rogatica östlich von Sarajevo fliehen. «Das waren Momente, die ich keinem Kind wünsche», sagte er.

Zusammen mit seinen Eltern und dem jüngeren Bruder war Selimbegovic heimatlos, bis zum Kriegsende 1995 waren sie Flüchtlinge. Wo schlafe ich? Wo bekomme ich Essen und Trinken her? Diese Fragen waren von Bedeutung in einer Zeit, während der unterschiedlichen Angaben zufolge bis zu 200 000 Menschen ihr Leben verloren. Er habe «schnell erwachsen werden» müssen, erzählte Selimbegovic. «Man hatte keine Zeit durchzuschnaufen.»

Nach Kriegsende schloss er sich als Teenager dem FK Zeljeznicar in Sarajevo an und landete schließlich 2006 in Regensburg. Seine spätere Frau, eine Bosnierin aus Passau, hatte er zuvor auf einem Heimatbesuch kennengelernt.

Der heute 38 Jahre alte Selimbegovic arbeitete sich beim Jahn hoch. Erst als Verteidiger, dann als Co-Trainer. Wegen einer Beckenverletzung musste er 2012 seine aktive Karriere beenden und machte parallel zum Coaching noch eine Ausbildung zum Industriemechaniker.

Die Plackerei hat sich gelohnt. Als Achim Beierlorzer im Sommer 2019 zum 1. FC Köln wechselte, wurde sein Assistent Selimbegovic befördert. Ein No Name im Profifußball, der sich heute auf das Vereins-Highlight im DFB-Pokal-Viertelfinale gegen Werder Bremen freut. «Das ist schon etwas ganz Besonderes», befand er vor dem K.o.-Duell am Mittwoch (18.30 Uhr/Sky) im eigenen Stadion.

Der Weg ins Viertelfinale war schwierig, in den vergangenen Wochen kamen dann noch Corona-Hürden hinzu. Denn nach einer Infektionswelle, die zunächst auch den Coach erfasst hatte, musste das eigentlich für den 2. März geplante Duell gegen Werder verschoben werden.

Zwei Wochen verbrachten die Regensburger in Quarantäne, ehe sie wieder in den Zweitligabetrieb zurückkehren konnten. Seitdem stottert der Jahn-Motor etwas. Egal. Man gehe das Spiel gegen die Bremer «als einmalige Chance an», verkündete Torwart Alex Meyer, der bei jedem Nachsitzen in den ersten drei Runden mindestens einen Elfmeter gehalten hat. «Es ist alles drin.»

Selimbegovic sieht das natürlich genauso. «Wir haben die Chance, etwas Großes für den Verein und die Region zu schaffen», sagte er am Dienstag. «Wir brauchen einen richtig guten Tag und Matchglück.»

Im Halbfinale am 30. April wäre RB Leipzig die letzte Station vor dem Finale. Selimbegovic will irgendwann einmal ein Buch schreiben, in erster Linie über die Zeit im Krieg. Ein Kapitel über das Cup-Abenteuer in dieser Saison könnte er sich vielleicht aufheben.

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