Kardinal Müller kritisiert „Hofschranzen“ im Vatikan

Der ehemalige Bischof von Regensburg, Kardinal Gerhard Ludwig Müller, hat die Kirchenführung von Papst Franziskus scharf
kritisiert. Das berichtete der „Spiegel“ in seiner aktuellen Ausgabe. Papst Franziskus dürfe nicht der Versuchung erliegen, „jene Gruppe, die sich mit ihrem Progressismus brüstet, gegen den Rest der Kirche auszuspielen“, warnte Müller. Als Progressisten bezeichnet man in oft abwertender Weise Fortschrittliche. Müller saß mehrere Jahre als
Präfekt der Glaubenskongregation im Vatikan vor, bevor Papst Franziskus seine Amtszeit im Juli 2017 überraschend nicht
verlängerte.

Es könne nicht sein, dass die Kirche nach den Regeln des Jesuitenordens – dem Franziskus angehört – geführt werde, kritisierte Müller. Franziskus mache sich auch „von Zuträgern und ihren oft unedlen Motiven abhängig“, wenn er sich in Personalentscheidungen über Mitarbeiter einbeziehen lasse, die er gar nicht alle kennen könne.

Der Papst sei zudem von Leuten umgeben, die „die jahrhundertealte Höflingsmentalität nicht ablegen wollen“. Diesen „Hofschranzen gilt heute jedes Wort, jede beiläufige Bemerkung von Franziskus, und sei es in einem Interview, als sakrosankt. Als hätte Gott selbst gesprochen“, sagte Müller. Was der Papst als Privatmann sage, habe aber „mit Unfehlbarkeit in Glaubensfragen nicht das Geringste zu tun“. Interviews seien für Franziskus vermintes Gelände. „In
weltlichen Fragen wäre Zurückhaltung wünschenswert.“

Wenige Tage vor einem Spitzentreffen zum Thema Missbrauch im Vatikan sagte Müller: „Wer sich nicht beherrschen kann, ist für das Priesteramt nicht geeignet.“ „Schönreden nützt da nichts“, fügte er hinzu. „Übrigens bin ich der Meinung, dass kein Mensch gottgewollt als Homosexueller geboren wird.“ Müller verwies in diesem Zusammenhang auf Statistiken, die bei dem anstehenden Treffen zu sexuellem Missbrauch zu wenig beachtet würden. „Weit über 80 Prozent
der Opfer sexuellen Missbrauchs Jugendlicher bis zu 18 Jahren waren junge Männer im pubertären oder nachpubertären Alter“, erklärte er. (dpa)