Haar-Notstand im Lockdown – Boomt die Schwarzarbeit?

Strubbelmähnen, graue Strähnen, dunkle Ansätze – auf den Köpfen vieler Menschen herrscht coronabedingter Wildwuchs. Seit Mitte Dezember sind die Friseursalons geschlossen. Die Besitzerinnen und Besitzer plagen Existenzsorgen, ihre Kundinnen und Kunden die schlecht sitzenden Frisuren. Momentan ist jeder Tag Bad-Hair-Day, da können auch Mützenwetter und Homeoffice nicht drüber hinweg trösten.

«Vor allem die Männer leiden», hat die Friseurin Michaela Wagner aus der Nähe von München festgestellt. Da kann man schon neidisch auf die Haare anderer Leute blicken, wenn diese trotz allem gut frisiert und top gestylt daherkommen – zum Beispiel einige Profi-Fußballer, wie der Zentralverband des Deutschen Friseurhandwerks kürzlich kritisiert hat.

Dieser fürchtet nun mehr Schwarzarbeit, weil unter Haar-Notstand leidende Stammkunden ihre Friseure anflehen könnten, ihnen privat die Haare zu schneiden. Das wäre ein Verstoß gegen das Infektionsschutzgesetz, denn körpernahe Dienstleistungen – worunter auch Friseure fallen – sind untersagt. Bis zu mehrere Tausend Euro Strafe können denen drohen, die sich erwischen lassen.

Ein Risiko, das eine selbstständige Friseurin aus Mitteldeutschland eingeht, die anonym bleiben möchte. «Ich muss halt in die Illegalität – etwas mit schlechtem Gewissen machen, um zu überleben», sagt sie. Weil ihr Salon geschlossen sei, habe sie keine Einnahmen mehr, die Kosten wie Miete, Strom und Krankenversicherung liefen aber weiter.

Während ihre Teilzeit-Angestellte Kurzarbeitergeld erhalte, habe sie noch keine Hilfen vom Staat bekommen, klagt sie. Ohne die Schwarzarbeit käme sie nicht über die Runden. Als sie am Telefon weiterspricht, klingt sie wütend und enttäuscht. «Im Endeffekt ist es eine Schweinerei, dass ich für meinen Lebensunterhalt nicht sorgen darf, die Kosten weiterlaufen und den Staat das nicht interessiert.»

7000 Euro musste sich die Friseurmeisterin nach eigenen Angaben schon von ihrer Familie leihen. Doch das reiche nicht, sagt sie. Im vergangenen Jahr habe sie von Mitte Dezember bis Ende Januar etwa 9700 Euro Umsatz gehabt. Mehrmals die Woche besuche sie deshalb ihre Kundinnen und Kunden zu Hause, um Haare zu färben oder zu schneiden. Viele davon kenne sie seit Jahrzehnten. «Ich komme als Freundin zu denen», sagt sie. Sie verlange nichts, freue sich aber, wenn ihre Kunden ihr dafür nachträglich etwas Geld zum Geburtstag schenkten.

«Da ist man schon in einem Gewissenskonflikt», sagt auch Angie Filler-Würstle vom Friseursalon Scherenzauber in München. Immer wieder bekomme sie Anfragen, ob sie nicht privat Termine machen könne. Einmal habe ihr jemand sogar 100 Euro für einen Haarschnitt geboten, sagt die 49-Jährige. Abgelehnt habe sie trotzdem. Jetzt hofft sie, dass die Überbrückungshilfen bald ankommen. «Das muss man irgendwie überstehen», sagt sie.

So sieht es auch Elisabeth Würz, Obermeisterin der Friseurinnung in Neumarkt in der Oberpfalz. Wer jetzt illegal Haare schneide, verhalte sich unsolidarisch, sagt sie. «Wir sitzen doch alle im selben Boot.» Sie selbst habe schon einige Hinweise auf Schwarzarbeit erhalten. Dagegen vorzugehen sei aber schwer. «Die Friseure, die diese Dienstleistungen anbieten, halten dicht, ihre Kunden ebenso.»

Ein Fall aus dem Landkreis Neumarkt sei ihr zugetragen worden, wo ein Friseur seine Kunden an fünf Tagen die Woche zu Hause besuchen soll. Die Einnahmen würden auf rund 2500 Euro die Woche geschätzt, sagt Würz. In anderen Fällen würden Wohnmobile, Bauwagen, Container oder leerstehende Gebäude zu illegalen Pop-up-Friseursalons.

Hinweise, dass in Deutschland weiter frisiert werde, gebe es zuhauf, meint Jörg Müller, Hauptgeschäftsführer vom Zentralverband des Friseurhandwerks. «Da muss man sich nur auf der Straße umschauen.» Angesichts der Corona-Pandemie findet er das doppelt problematisch, denn Abstandsregeln und Hygienevorschriften würden dabei nicht eingehalten. «Sichere Friseurdienstleistungen sind nur in den Profi-Salons möglich.»

Der Verband fordert deshalb, diese ab dem 15. Februar wieder öffnen zu lassen. Überbrückungshilfen müssten schnell ausgezahlt werden und auch die Inhaberinnen und Inhaber, die bisher leer ausgingen, müssten staatliche Unterstützung bekommen. Mit der Aktion «Licht an!» wollen die Friseurinnen und Friseure am Sonntag (31. Januar) bundesweit auf ihre Situation aufmerksam machen und für 24 Stunden das Licht in den leeren Salons brennen lassen.

Dass sich manche Leute angesichts der ungewollten Haarpracht unwohl fühlen, kann Friseurin Michaela Wagner nachvollziehen. «Die schauen zum Teil ja auch schlimm aus.» Die 50-Jährige arbeitet zurzeit als Aushilfe in einem Corona-Labor – und sei deshalb zum Glück nicht auf ihre Einnahmen als mobile Friseurin angewiesen. Einen besonders verzweifelten Kollegen aus dem Labor hat sie kürzlich ihre Haarschneidemaschine geliehen und mit ihm genau besprochen, wie er damit umzugehen hat.

Dass sich viele Menschen nun versuchen, selbst zu helfen, bekommen auch die Elektronikhändler zu spüren. Bei MediaMarkt und Saturn sind Haarschneider nach Angaben einer Sprecherin gerade stark nachgefragt. Noch seien genug auf Lager. Es könne aber vorkommen, dass besonders beliebte Modelle kurzfristig ausverkauft seien.

Im Internet findet man inzwischen unzählige Anleitungen, wie man sich selbst die Haare schneidet. Ebenso zahlreich sind die Bilder von nicht immer geglückten Frisur-Selbstversuchen.

Gerade mit der Farbe könne man viel falsch machen, sagt die Münchner Friseurin Filler-Würstle. Sie schickt ihren Kundinnen und Kunden deshalb fertig angemischte Haarfarbe nach Hause, damit diese wenigsten ihre Ansätze nacharbeiten können. Dazu gibt es Pinsel, Handschuhe – und eine Notfalltelefonnummer für dringende Nachfragen.

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