Entscheidung im Machtkampf bei Grammer

Die deutsche Autoindustrie schaut am kommenden Mittwoch auf das bayerische Amberg: Dort stimmen die Aktionäre des Zulieferers Grammer darüber ab, ob die umstrittene Investorenfamilie Hastor die Kontrolle übernimmt. Es dürfte eng werden.

Der sechste Rekordumsatz in Folge, der Gewinn verdoppelt, die Dividende erhöht – viele Vorstandschefs würden gerne
mit dieser Bilanz vor ihre Aktionäre treten. Doch Grammer-Chef Hartmut Müller sieht der Hauptversammlung am kommenden Mittwoch (24. Mai) mit Bangen entgegen. Denn der größte Anteilseigner des Autozulieferers, die umstrittene Investorenfamilie Hastor, will alles auf den Kopf stellen – und erschreckt damit Kunden wie Mitarbeiter.

„Dass das kein Kaffeekränzchen wird, ist doch klar“, sagte Franz Enderle, Anwalt von Hastor. Sie will die Kontrolle im
Grammer-Aufsichtsrat übernehmen und den Vorstand feuern.

„Aber was soll das bringen, aus Aktionärssicht?“, fragt Analyst Peter Rothenaicher von der Baader-Bank. „Die Hastors haben nicht kundgetan, was sie wollen.“

Den Hastors gehört die Prevent-Gruppe, die im vergangenen Sommer im Streit mit VW einfach ihre Lieferungen gestoppt und die Bänder in Wolfsburg und Emden lahmgelegt hatte. Anschließend unterschrieb VW
einen Vertrag „mit Bezugsverpflichtungen für sechs Jahre“, sagte Enderle.

Rothenaicher erklärt: „Ohne Just-in-Time-Lieferung stehen die Bänder still, da sah sich VW ja fast erpresst. Deshalb läuten die Alarmglocken bei den Autoherstellern, wenn sie Hastor hören.“

Auf der Hauptversammlung vor einem Jahr hatten die Hastors nichts am Grammer-Management auszusetzen. Seit Dezember aber feuern ihre Anwälte aus allen Rohren: Vorstände und Aufsichtsräte ließen sich vom
größten Grammer-Kunden VW bei der „Abwehr feindlicher Investoren“ unterstützen, sie verrieten Betriebsgeheimnisse und stellten „die Erhaltung ihrer Pfründe über die Interessen des Unternehmens“ – so die Vorwürfe im Antrag zur Hauptversammlung.

Grammers Gewinnmargen seien unterdurchschnittlich, kritisierte Prevent-Manager Christian Becker im „Handelsblatt“. Die Oberpfälzer bauen für VW, Daimler, BMW und andere Autokonzerne vor allem Mittelkonsolen und Kopfstützen. Kleiner, aber profitabler ist das Geschäft mit Sitzen für Traktoren und Lastwagen. Insgesamt machte das
Unternehmen 2016 mit 12 000 Mitarbeitern 1,7 Milliarden Euro Umsatz und 45 Millionen Euro Gewinn.

„Es ist sicher noch Luft nach oben. Aber Armlehnen und Kopfstützen sind keine Hightech-Produkte, da holt man keine hohe einstellige Marge raus“, sagte Analyst Rothenaicher. „Ich tu‘ mir schwer, Synergiepotenziale mit Prevent zu sehen.“
 
Vorstandschef Müller macht etwas anderes Sorgen als mögliche Einsparungen mit den Hastors: „Der Auftragseingang hat sich im ersten Quartal praktisch halbiert.“ Nach dem Vorstoß der Hastors bei Grammer hatten Großkunden angekündigt, ihre Geschäftsbeziehung zu überprüfen. „Manche Aufträge liegen noch auf Eis, andere sind an die Konkurrenz gegangen“, sagte Müller.

Der bayerische IG-Metall-Chef Jürgen Wechsler warnte, die Hastor-Familie habe „lediglich eine kurzfristige Gewinnoptimierung im Blick“. Die bayerische Metallindustrie sieht die Zulieferstruktur für die Autohersteller im Land in Gefahr. Matthias Machnig (SPD), Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium, sagte, er könne bei den Hastors keine Strategie erkennen: „Wir stehen hinter der Geschäftsführung und dem Betriebsrat.“

Die moralische Unterstützung mache Mut, sagte Müller. „Aber am Schluss zählt nur das Kräfteverhältnis.“

Die Hastors halten zwar nur 20 bis 25 Prozent der Aktien. Doch der chinesische Grammer-Partner Jifeng, der als schützender „weißer Ritter“ gilt, hält mit 12 Prozent weniger. Und die meisten Aktionäre kommen gar nicht zur Hauptversammlung. Ein US-Fonds hält fast 5  Prozent an Grammer, war aber noch nie beim Aktionärstreffen
angemeldet. „Bei einer Präsenz von vielleicht 45 Prozent auf der Hauptversammlung ist offen, wie das ausgeht“, sagt Müller.

Sollten die Hastors die Grammer-Führung auswechseln und die Strategie ändern, bleibt weiter die Haupthürde. „Das wahre Problem besteht zwischen den Kunden und unserem Investor“, sagt Müller.

Und wenn die Hastors den Kürzeren ziehen? „Die Familie Hastor verschwindet nicht einfach nach der Hauptversammlung, egal wie das läuft“, sagte Enderle und stellte Anfechtungsklagen in Aussicht: Ob
Jifeng am Mittwoch zu Recht mitstimmt, „wird vermutlich der Bundesgerichtshof klären in fünf Jahren.“ (dpa)